Wenn die Internationale Atomenergieagentur IAEA zum Klimagipfel einlädt, kommen nicht alle. Was sich aber in den Hallen der Uno City in Wien abspielt, ist Geopolitik vom Feinsten.
Die zweite Konferenz der IAEA zum Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz fand vom 9. bis zum 13. Oktober in Wien statt. Das Motto «Atoms4NetZero» – Atome für Nettonull Treibhausgasemissionen – prägte politische und technische Panels sowie verschiedene Spezialanlässe. Immerhin handelte es sich um eine Konferenz von Weltformat. Und immerhin kamen aus aller Welt Vertreter – ausser aus Europa, der Hochburg des Klimaschutzes.
Die politische Seite war, wie übrig für solche Zusammenkünfte, geprägt von grossen Würfen. Fatih Birol, der Exekutivdirektor der International Energieagentur, gab zu verstehen, dass Atomtechnologie eine wichtige Rolle in einer dekarbonisierten Welt spielen muss. Agnes Pannier-Runacher, die französische Ministerin für Energietransition, erklärte, warum Atom integral zum Klimaschutz gehört und in Frankreich sowie der Europäischen Union als «grün» eingestuft wird.
Natürlich kann man diese Statements als «politisch» abtun. Sie sind es auch. Dahinter steht vermutlich mehr Rhetorik als Überzeugung. Und dennoch: Noch selten hat man von der Internationalen Energieagentur derart deutliche Unterstützung des Nuklearen im Rahmen des Klimaschutzes gehört. Und dass Frankreich im Namen der EU die Atomtechnologie als «grün» lobt, gibt zu verstehen, dass der deutsche Widerstand gegen öffentliche Unterstützung des Nuklearen zumindest gezähmt wurde. Im Übrigen: Ausser in dieser Rede übte sich Frankreich markant in Abgrenzung zur EU.
Auch in den anderen politischen Panels kam die Verbindung der Atomtechnologie und dem Klimaschutz deutlich zur Sprache. Dass die USA und Japan sie sehen, überrascht nicht. Doch, dass auch die Lateinamerikanische Energieorganisation, die Arabische Liga oder verschiedene afrikanische Länder diese Verbindung machen und für sich umsetzen wollen, ist ein relatives Novum.
Was man sieht
Generell rückte Afrika in den Mittelpunkt der Konferenz. Erstens wegen der Anzahl der Teilnehmer und zweitens wegen des Interesses der Länder. Heute setzt nur Südafrika Atomtechnologie ein. Allerdings möchten 12 weitere afrikanische Länder Kernkraftwerke in Betrieb nehmen. Dazu gehören etwa Ägypten, Nigeria, Ghana und Kenia.
Das erstaunt nicht. Denn heute leben immer noch 41% der Afrikaner ohne Stromanschluss. Bei wachsender Bevölkerung und Wirtschaftswachstum ist die Kernenergie die einzige Chance, ökologisch, ökonomisch und sozial die Stromversorgung sicherzustellen.
Die Pläne dieser Länder sehen vor, zwischen 2030 und 2035 mindestens 20 Kernkraftwerke zu aktivieren. Ob sich diese Pläne verwirklichen lassen, hängt von der Finanzierung ab. Hier glänzen etwa Russland und China. Diese verlangen lediglich 12% Selbstfinanzierung von den Zielländern; den Rest leisten die entsprechenden Staaten selbst. Auch Südkorea wurde lobend von den Panelteilnehmern aus Afrika erwähnt.
Keine positiven Worte verloren sie über die USA und Europa. Das ist umso auffälliger, als die französische Électricité de France sehr präsent war und von allen «nicht westlichen» Teilnehmern stets übergangen wurde.
Was man hört
Eine weitere Herausforderung für Afrika ist der Anschluss der zu bauenden Kernraftwerke an das Netz. Einige Länder denken deshalb über «off grid» Lösungen nach. Das heisst, Lösungen, die kein grosses, nationales Netz benötigen. Kenia setzt zum Beispiel vollständig auf kleine modulare Reaktoren SMR. Das Kalkül ist, dass diese mit einem kleineren, lokaleren Netz auskommen.
In den technischen Panels standen die SMR im Mittelpunkt. Namentlich wurde stark debattiert, ob es einen weltweit gleichen SMR-Typ oder eine Standardisierung der SMR und basierend auf diesen Standard verschiedene Typen geben sollte. Auch interessant war die Frage, ob Länder lieber einen unveränderten SMR oder eine Lizenzierung zur regionalen Anpassung möchten. In beiden Fällen gingen die Panelteilnehmer ohne Konsens auseinander.
Was man weder sieht noch hört
Interessant ist nicht nur, was man sieht und hört. Auch das, was nirgendwo auftaucht aber erscheinen sollte, ist interessant.
Technisch fällt auf, dass die meisten Teilnehmer und Redner nicht wissen oder verstehen, wie das Klimaübereinkommen von Paris funktioniert. Natürlich kann die Atomtechnologie auch ausserhalb des Übereinkommens eine Rolle im Klimaschutz spielen. Doch dann wird sie nicht gewürdigt. Will man das Nukleare in der Klimadiskussion als positive Kraft einbringen, braucht es eine Einordnung unter das Pariser Dokument. Und dafür müssen die Atomtechniker und -politiker ein viel besseres Verständnis entwickeln.
Politisch fällt auf, dass Russland und China die Konferenz dominiert haben. Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate, Frankreich – betont national – und Indien beanspruchten auch die Führungsrolle, auch wenn in geringerem Umfang. Die USA waren stark untervertreten. Die EU-Europäer hatten schlicht keine Relevanz.
Auf dem ersten Blick ist das erstaunlich, denn die EU versteht sich als treibende Kraft des Klimaschutzes. Doch wenn man sich überlegt, dass diese Konferenz primär geopolitisch einzuordnen ist, ist das Verhalten der EU verständlich. Sie kann keine Geopolitik, weil sie sich dafür nicht interesseiert, weil sie dadurch überfordert ist, weil sie keinen Zugang zur Realität der Welt hat.
Die Schweiz war an der Konferenz über das Nuklearforum vertreten. Das Forum wurde auch in der Vorbereitung einbezogen und konnte sowohl einen Redner, einen Panel-Vorsitzenden als auch ein Mitglied des Steuerungsausschusses der Konferenz stellen. Die offizielle Schweiz war nicht zugegen.
Henrique Schneider
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Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO; englisch International Atomic Energy Agency, IAEA) ist eine autonome wissenschaftlich-technische Organisation, die innerhalb des Systems der Vereinten Nationen einen besonderen Status innehat. Die IAEO ist keine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sondern mit diesen vielmehr durch ein separates Abkommen verbunden. Sie berichtet regelmässig der Generalversammlung der Vereinten Nationen und darüber hinaus dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellt. Die IAEO soll laut Satzung «den Beitrag der Kernenergie zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit beschleunigen und vergrössern»; sie soll also die Anwendung radioaktiver Stoffe und die internationale Zusammenarbeit hierbei fördern sowie die militärische Nutzung dieser Technologie (z. B. Proliferation von Kernwaffen) durch Überwachungsmassnahmen («Safeguards») verhindern. Für ihren Einsatz für diese Ziele wurde sie 2005 gemeinsam mit ihrem damaligen Generaldirektor Mohammed el-Baradei mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seit dem Klima-Übereinkommen von paris wurde die IAEO von der Klimaorganisation der Vereinten Nationen gebeten, regelmässig über den Klima-Beitrag der Nukleartechnologie zu berichten.